Tenacious Strategy – über Willens­stärke in der Königs­disziplin­

Dies ist ein Artikel über die Bedeutung und den Verlust von Kontinuität in Strategieprozessen. Eigentlich wollte ich einen Text über agile Strategieprozesse schreiben, bis ich mir die Frage stellte, worauf es bei erfolgreichen Strategieprozessen wirklich ankommen sollte. Nach vielen Überlegungen ist meine Antwort, dass die Methodik zwar wichtig, aber nicht entscheidend ist. Es geht um etwas anderes. 

Wenn es also nicht um die Methodik zur Ausarbeitung einer besonders guten Strategie geht, worum geht es dann? Um diese Frage beantworten zu können, starte ich mit einer Begriffsdefinition: „Strategie ist die Bestimmung der grundlegenden langfristigen Ziele eines Unternehmens sowie die Annahme von Maßnahmen und die Zuweisung von Ressourcen, die notwendig sind, um diese Ziele zu erreichen.“, sagt Alfred D. Chandler, US-amerikanischer Wirtschaftshistoriker und Ökonom. Laut dieser Definition besteht eine Strategie aus drei Schritten: 1. die Bestimmung von langfristigen Zielen, 2. die Entwicklung von Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele und 3. die Zuweisung der notwendigen Ressourcen zur Erreichung dieser Ziele. Bevor wir jetzt in die Falle tappen, uns zu fragen, welcher dieser drei Schritte am allerwichtigsten ist, möchte ich darauf hinweisen, dass eine Strategie laut dieser Definition lediglich der Plan und nicht dessen Realisierung für die erfolgreiche Weiterentwicklung eines Unternehmens ist. Legen wir also den Fokus nicht auf die Strategie, sondern auf deren Realisierung, sind wir dort angekommen, worauf ich hinauswill: wichtiger als der Plan selbst ist dessen Umsetzung!

"Den Unternehmen ist die Fähigkeit abhanden gekommen, Zukunft langfristig zu gestalten."

Ich bevorzuge weder klassische Top-Down Strategieprozesse, noch integrierte agile Strategieprozesse und wundere mich darüber, mit welcher Leidenschaft über die Richtigkeit der einen oder anderen Methode gestritten wird. Es gibt meines Erachtens keinen allgemeingültigen Blueprint für ein strategisches Vorgehen. Welches spezifische Verfahren geeignet ist, ist immer abhängig von unterschiedlichen Faktoren wie z.B. Ressourcen, involvierten Stakeholdern, Unternehmenskultur, Wissensträgern, Reifegrad der Führung und ganz besonders von der Dringlichkeit, in bestimmten Feldern aktiv zu werden, die das Unternehmen verschlafen hat, um wieder zum Wettbewerb aufschließen zu können. Vertreter von agilen Strategieprozessen argumentieren, dass Adaptability, also Anpassungsfähigkeit in einer sich immer schneller verändernden Welt, ein ganz entscheidender Grund dafür ist, schnelle ressourcen- und opportunitätsgetriebene strategische „Discovery-Prozesse“ ähnlich agiler Entwicklungsprozesse durchzuführen und empfehlen dies als vielversprechendste Herangehensweise. Ich würde dem zwei Argumente entgegensetzen: 1. Kurz- bis mittelfristige Anpassungsfähigkeit verorte ich in der Taktik und weniger in der Strategie. Taktik konzentriert sich auf ein bis mehrere Maßnahmen zur Erreichung eines Ziels, welches in nicht allzu weiter Ferne liegt. Strategie hingegen sehe ich als Instrument langfristiger Gestaltung, das eine Vielzahl von Zielen und Faktoren berücksichtigt und in Beziehung zueinander setzt, was strategische Arbeit komplex macht. 2. Es kann durchaus diskutiert werden, ob die Welt sich in grundsätzlichen Angelegenheiten wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Fachkräftemangel, etc. (Megatrends) immer schneller dreht oder ob die Unternehmen diese langfristigen Trends verschlafen haben und ihnen die Fähigkeit abhanden gekommen ist, strategisch Zukunft zu gestalten. Vielleicht haben viele von ihnen versäumt, sich frühzeitig mit langfristigen Entwicklungen auseinanderzusetzen, daraufhin Schwerpunkte zu bestimmen und Pläne zu entwickeln, wie sie adäquat reagieren und diese Trends zu ihrem Vorteil nutzen könnten. 

Hier schließt sich der Kreis und ich komme zum eigentlichen Punkt: Eine Strategie ist nur etwas wert, wenn sie auch umgesetzt wird. Und meine Erfahrung ist, dass die meisten Strategien, egal ob bessere oder schlechtere, nicht konsequent umgesetzt werden. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Hier sind ein paar wesentliche „Strategy-killer“, die mir in den letzten Jahren bei Kunden aufgefallen sind:

  1. Strategiewechsel, die mit einem Führungswechsel einhergingen
  2. Fehlendes Bewusstsein für die Kosten der Realisierung strategischer Ziele
  3. Priorisierung kurzfristiger, meist umsatz-/renditeorientierter Ziele im operativen Geschäft
  4. Top-level Strategie ohne Ableitung konkreter oder bereichsspezifischer Maßnahmen zur Umsetzung

Beispiel

Als Auftakt eines Change Management Projekts führte ich mit zahlreichen MitarbeiterInnen unterschiedlicher Abteilungen und Hierarchiestufen Interviews durch, mit dem Ziel, den Kenntnisstand über die übergeordnete Bereichsstrategie abzufragen. Es stellte sich heraus, dass die Mehrheit der Interviewten ohne Führungsverantwortung nur zwei der vier strategischen Säulen kannte. Die TeamleiterInnen kannten zwar alle strategischen Säulen, jedoch waren sie sich der Zielsetzung und strategischen Maßnahmen ihrer eigenen Abteilung nicht bewusst. Und nur die Hälfte der AbteilungsleiterInnen hatten aus der Top-level Strategie Ziele, KPIs und Maßnahmen für ihre Abteilungen abgeleitet und führten regelmäßige strategische Statusmeetings durch.

Fazit

„Victory belongs to the most tenacious (Der Sieg gehört den Hartnäckigsten).“ ist auf Philippe Chatrier, dem Center Court der French Open zu lesen. Roland Garros hat ihn sich zu eigen gemacht, doch eigentlich stammt er von Napoleon. Wenn wir uns die Frage stellen, worauf es bei einer Strategie wirklich ankommt, dann ist eine Orientierung an diesem Satz ratsam. Wo wir Taktik eher mit einem Sprint in Verbindung bringen, würde ich die Entwicklung und Realisierung einer Strategie mit einem Marathon vergleichen. Um einen Marathon erfolgreich abschließen zu können, bedarf es einer Zielsetzung, eines Trainingsplans, der Disziplin, diesen Plan auch umzusetzen und der Willenskraft, eine Strecke von 42,2km so zu laufen, wie man es sich vorgenommen hat. Als Coach der FACE-Methode von Wladimir Klitschko möchte ich abschließend die zugrunde liegende Überzeugung zitieren. Es ist seine Überzeugung, dass „Willenskraft die stärkste Kraft im Leben ist“ und Grundlage dafür, dass wir unsere Ziele nicht aus den Augen verlieren und sie langfristig auch erreichen werden.

Take-outs

  • Bei Strategieprozessen ist die Methode zwar wichtig, aber nicht entscheidend
  • Eine Strategie ist lediglich der Plan und nicht dessen Realisierung für die erfolgreiche Weiterentwicklung eines Unternehmens
  • Wichtiger als der Plan ist dessen Umsetzung
  • Die Auswahl der geeigneten Methode zur Strategieentwicklung ist abhängig von der jeweiligen Situation des Unternehmens
  • Agile Strategieentwicklung ist keineswegs „alternativlos“, Langfristigkeit und Kontinuität sind per definitionem wesentlicher Charakter einer Strategie
  • Inkonsequenz in der Realisierung einer Strategie ist der „Strategy-Killer“ Nummer 1
  • „Victory belongs to the most tenacious” – Willenskraft und Hartnäckigkeit sind die Grundlage für das Erreichen langfristiger Ziele

  

Hannes Ley ist Community Specialist, strategischer Unternehmensentwickler und Gründer von THE MAIN. Als Autor publiziert er in diesem Blog über die Erfahrungen, die er im Berateralltag macht und die Fragestellungen, mit denen er dabei konfrontiert wird. Sein Profil findest Du hier: www.linkedin.com/in/hannesley/